Ist Ehrlichkeit überhaupt noch «in» oder ist er ein Begriff der Ewiggestrigen, eine romantische Vorstellung des vergangenen Jahrtausends? In diesem Beitrag wird weniger die bewusste Falschinformation, welche mit dem Ziel der beabsichtigten Irreführung des Gegenübers geäussert oder verbreitet wird, thematisiert. Es besteht ein grundsätzlicher Konsens, dass dies gesellschaftlich unerwünschtes Verhalten ist. Gleichwohl ist unehrliches Verhalten im Sinne von unwahren Aussagen praktiziert, oft unter dem Titel der «Notlügen» oder sogenannter «white lies».
Die beziehungs- und gesellschaftsbezogenen Folgen von Unehrlichkeit werden dabei oft nicht oder nicht in einer der Wichtigkeit des Gegenstands angemessenen Tiefe reflektiert. Dabei ist es offensichtlich: Ehrlichkeit und Vertrauen sind aufeinander bezogen bedingen sich gegenseitig. Und: Ohne Ehrlichkeit ist kein fundamentales Vertrauen möglich.
Um dies zu illustrieren, beziehe ich mich auf eine Situation aus meinem pädagogischen Alltag. Ich unterrichte an einem Nachmittag um 13.30 Uhr Sport. Ein Teil der Schüler und Schülerinnen befindet sich zu Beginn der Lektion noch nicht in der Sporthalle, sondern trifft mit etwa zehnminütiger Verspätung ein. Auf meine Frage nach dem Grund der Verspätung haben mir die betreffenden Schüler und Schülerinnen gesagt, dass der Bus, mit dem sie aus den Nachbarorten in die Schule gefahren wurden, Verspätung gehabt hätte. Ich habe dann später erfahren, dass dem nicht so gewesen ist, sondern dass der Bus pünktlich gewesen sei, die Schüler aber getrödelt hätten.
Ich war alles andere als erfreut und habe die betreffenden Jugendlichen anschliessend mit ihrer Falschaussage konfrontiert. Die Schüler meinten, das sei ja alles nicht so schlimm, es seien ja nur 10 Minuten Verspätung gewesen. Ich habe ihnen daraufhin gesagt, dass sie offensichtlich nicht begriffen hätten, worum es hier gehe. Das Problem sei eben nicht die 10-minütige Verspätung, diese hätte ja, falls sie mich ehrlich informiert hätten, allenfalls eine kleinere Konsequenz – z.B. Nachsitzen der doppelten verpassten Zeit – nach sich gezogen. Dann wäre die Sache erledigt gewesen. Mit dem, dass sie mich angelogen hätten, sei es eben nicht erledigt, vielmehr hätten sie und ich jetzt ein Problem. Ich sagte Ihnen, sie sollten sich in meine Lage versetzen. Ich fragte sie anschliessend, ob sie an meiner Stelle ihnen, wenn sie das nächste Mal sagen würden, der Bus habe Verspätung gehabt, glauben würden. Nach ein paar Sekunden der Stille meinte einer von ihnen: «Äh, ich weiss nicht.» Ich fügte an: «Eben, und ich auch nicht.» Ich sei bisher davon ausgegangen, dass sie die Wahrheit sagen würden, und das könne ich jetzt nicht mehr unbesehen. Mit anderen Worten: Sie hätten mit ihrer Lüge das Vertrauensverhältnis zwischen uns zerstört.
Die Konsequenz sei, dass ich ihnen nun nicht mehr a priori glauben könne, sondern dass ich vermehrt werde überprüfen müssen, ob das, was sie mir sagen, tatsächlich mit der Wahrheit übereinstimmt. Selbstverständlich würde ich dies künftig auch tun, auch wenn dies keineswegs mein Verständnis einer Pädagogik sei, die ich als Wunschvorstellung habe. Die Schüler und Schülerinnen waren betroffen, haben in der Folge Verantwortung für ihr Handeln übernommen, sich entschuldigt und ihr Verhalten bereut Es ist in der Tat so, dass Ehrlichkeit die grundsätzliche Voraussetzung wahres und tiefes Vertrauen ist. Vertrauen kann je nachdem sehr schnell zerstört werden; es wiederaufzubauen, kann wesentlich länger dauern.
Man kann natürlich auch umgekehrt fragen: Braucht es Vertrauen, um ehrlich zu sein? Und welcher Art soll und muss dieses Vertrauen sein. Ziel jeder Eltern-Kind-Beziehung ist zweifellos, dass sie so gestaltet ist, dass Kinder ihren Eltern alles sagen können. Das ist jedenfalls, was sich die Eltern wünschen. Wünschen sich das die Kinder auch? Zweifellos! Wenn wir auf unsere Kindheit zurückblicken, war es doch immer erleichternd, wenn man den Eltern etwas «beichten» konnte, was uns beschäftigt hatte. Kinder wollen sich grundsätzlich mitteilen, sollten das auch.
Tun sie es nicht, kann es zu einer Entwertung ihrer selbst wie auch der Eltern und der Beziehung zu ihnen kommen. Die Familie als Hort der neben der physischen auch psychischen Geborgenheit ist massiv in Gefahr. Die Konsequenz ist dann oft, dass sich die Kinder von den Eltern, der Familie abwenden und das Bezugssystem – Regeln, Normen, Werte – ihrer Freunde («peers») mehr an Bedeutung gewinnt. Das ist nicht ganz unproblematisch, weil die Normen und Werte der «peers» oft nicht dem entsprechen, was die Eltern sich wünschen.
Wenn wir davon ausgehen, dass die Kinder im Grundsatz ehrlich sein wollen, dass sich dies zudem mit dem Grundsatz der Eltern deckt, stellt sich die Frage, weshalb es dann kindsseits am Vertrauen fehlen, sich offen mitzuteilen.
Für die Kinder ist die subjektiv am stärksten drohende Gefahr, dass die Eltern sie nicht mehr lieben. Die Eltern sind das non plus ultra, sie sind von den Eltern abhängig. Liebesentzug und Liebesverlust sind wohl die härtesten Strafen für ein Kind. Der Umkehrschluss ist demnach, dass die Eltern sich dessen bewusst sein sollten, dass, wollen Sie, dass ihre Kinder ehrlich sein, was auch immer sie ihnen sagen, nicht zu einer «Aufkündigung der Liebe» kommen darf.
Dabei ist nicht nur und auch nicht in erster Linie entscheidend, was die diesbezügliche Haltung der Eltern tatsächlich ist. Es gibt in dieser Eltern-Kind-Beziehung keine Objektivität, sondern die Subjektivität der Kinder ist relevant. Will heissen: Wenn die Kinder befürchten, dass ihnen sozusagen die Liebe aufgekündigt wird, werden sie sich je nachdem davor hüten, ehrlich und vor allem offen Auskunft zu geben bzw. etwas zu erzählen. Das Nichterzählen ist dabei allerdings keine Lösung, weil es nichts auflöst. Der Abwehrmechanismus der Verdrängung kommt ins Spiel.
Aus dem «wenn ich es ihnen sage, werden sie mich nicht mehr lieben» wird «wenn sie es wüssten, würden sie mich nicht mehr lieben». Die manifeste Angst wird so zur verdrängten latenten Angst. Dies kann durchaus soweit gehen, dass diese Kinder ein unterschwelliges Gefühl von Bedrohung mit sich tragen und dem Leben gegenüber eine defensive Haltung einnehmen. Es handelt sich letztlich um eine teilweise, im günstigsten Falle nur temporäre, oft aber auch dauerhafte Schädigung dessen, was wir Urvertrauen nennen.
Die Eltern sollten bewusst sein und durchaus wiederholt auch verbal ausdrücken, dass sie die Kinder zeitlebens lieben werden, und dass eine Eltern-Kind-Beziehung grundsätzlich nicht aufkündbar ist. Mit dieser Grundsicherheit ist die Vertrauensbasis für eine Offenheit und Ehrlichkeit seitens des Kindes gegeben.
Damit, dass die Vertrauensbasis für Ehrlichkeit und Offenheit gegeben ist, ist natürlich noch nicht sichergestellt, dass die Kinder dann effektiv auch wirklich offen und ehrlich sind. Die entscheidende Frage, die sich Kinder dann oft unausgesprochen stellen, ist, ob es für sie gewinnbringender ist, ehrlich zu sein oder nicht. Ungeachtet des Entwicklungsstands des Kindes ist es deshalb sehr ratsam, wenn die Eltern Ehrlichkeit dadurch ermuntern, dass das Kind mit ehrlichem Verhalten – auch in Bezug zum Thema Vermeiden von Unlust – immer besser wegkommt als mit unehrlichem Verhalten. Auf der Ebene der Konsequenzen bedeutet dies beispielsweise, dass diese bei ehrlichem Zugeben wesentlich im Sinne von spürbar geringer ausfallen, als wenn etwas abgestritten wird. Ich habe schon bei äusserst schwierig sich verhaltenden Kindern erlebt, dass sie sich mit den Jahren tatsächlich das Motto «Ehrlich währt am längsten» orientiert haben.
Wir alle machen Fehler, dass ist definitiv so. Die Erde ist unser Schulraum und deshalb ist dies fast zwingend der Fall; d.h. wir sind hier um Fehler zu machen oder vielmehr daraus zu lernen. Deshalb ist ein zentrales Element des zwischenmenschlichen Zusammenlebens die Vergebung.
Wenn das Kind weiss, dass sein fehlerhaftes Verhalten eine oder mehrere Konsequenzen hat, es aber weiss, dass die Eltern auch vergeben, dann wirkt sich dies positiv auf ehrliches Verhalten aus.
Allerdings muss man in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass der Prozess der Vergebung nicht unbedingt bekannt ist. Verhalten, wie wir es oft kennen, wie beispielsweise ein flüchtiges «tut mir leid» oder, noch kürzer, «sorry» haben nichts mit wirklicher Vergebung zu tun.
Um dies klarzustellen: Es besteht kein Recht auf Vergebung. Es ist aber so, dass wir, wenn jemand diese Schritte gemacht hat, ihm oder ihr vergeben sollten. Tun wir das nicht, liegt die Verantwortung nicht mehr beim Betreffenden, sondern bei uns.
In diesem Beitrag haben wir uns auf das Thema Ehrlichkeit und Vertrauen in Bezug auf die Entwicklung des Kindes angeschaut, um zu veranschaulichen, woher das mitgebrachte Vertrauensverhalten eines Menschen in einer Beziehung kommt. Diese individuelle "Vertrauenskompetenz" – oder – das "Ehrlichkeitsverhalten" eines Menschen baut sich während der Kindheit auf – der Grundstein der sozialen Kompetenzen wird dort gelegt beziehungsweise aufgebaut. Als Erwachsene haben wir die Möglichkeit, über unsere Erfahrungen in Bezug auf Vertrauen und Ehrlichkeit nachzudenken und unsere vielleicht hinderlichen Muster zu ändern und neues auszuprobieren – und damit vom Opfer der Zwänge unserer Biographie zum Meister unseres Geschicks zu werden!
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